[Ans Ende der Welt -- oder: Wie weit geht es nach Norden?] (Felix Becker) Es begann mit dem Juli-2015-Newsletter der junge-Leute-Sektion jDPG [1] der Deutschen Physikalischen Gesellschaft [2]: "Die Kiruna-Exkursion der jDPG führt Euch vom 01.11.15 bis 05.11.15 in die Arktis, um Polarlichter zu studieren und Einblick in die arktische Forschung zu gewinnen. [...]" Die Exkursion versprach, gute Leute zusammenzubringen und einen Anlass für eine schöne Reise zu bieten. Da ein Teil der Exkursion daraus bestand, sich gegenseitig Vorträge über eigene Themen zu halten, suchte ich mir eines mit lokalem Bezug, einfach um meine Teilnahmechancen zu erhöhen: Ich war 2008 bereits zweimal in bzw. um Kiruna, im Rahmen des Studentenprogrammes BEXUS, bei welchem Studenten ein Experiment für einen Flug auf eine Stratosphärenballon oder, im "Schwester"program REXUS, auf einer ballistischen Rakete planen, bauen und durchführen können [3]. Herüber handelte mein Vortrag [4]. Weitere Inhalte der Exkursion waren: Polarlichtbeobachtung, Besuch der Forschungseinrichtungen um Kiruna, Hören von Fachvorträgen von Forschern vor Ort im besonderen auch über die Polarlichter. Die Stadt Kiruna [5] selber existiert wegen der dortigen weltgrößten Eisenerzmine (und ist ob selbiger derzeit im Umzug begriffen). Später haben sich -- wegen der guten Infrastruktur und der kaum vorhandenen Besiedlung in der Umgebung -- auch Forschungseinrichtungen mit arktischen und raumfahrttechnischen Schwerpunkten dort angesiedelt und es werden entsprechende Studiengänge [9] angeboten. Meine Hinfahrt erfolgte per Zug und auslandsflexiblem Europa-Spezial über København, Stockholm und Nachtzug nach Nordschweden, für die Rückfahrt hatte ich mir vorgenommen um die Ostsee herum zurückzufahren. Das Weltraumwetter ließ für die Exkursion kräftige Polarlichter über Kiruna erwarten, und auch das irdische Wetter spielte mit. Mit einer Temperaturvorhersage von um die 0°C war das Wetter eher mild, so dass ich mich vor der Abfahrt nur bis -10°C inkl. Wind eindeckte. Tatsächlich gab es fast jeden Tag gut Polarlichter zu beobachten. Manchmal zogen sie über die Stadt hinweg nach Süden und waren eine Weile zu weit südlich, manchmal hingen sie als Schemen über der Region. Es war eine Zeit besonders starken Sonnenwindes. Die Polarlichter treten in der Regel auf einem Ring grob um den magnetischen Pol herum auf und sind in Europa in der Breite von Tromsø meistens am besten zu beobachten. Bei starker Sonnenwindaktivität wandert dieser Ring in Richtung des Äquators und kann auch breiter werden, so dass die Polarlichter auch in anderen Regionen zu sehen sind. So wie bei den Tagen unserer Exkursion. Auch das Hostel bot seine Freuden: Hatte ich im urgemütlichen Snälltåget nach Stockholm das Frühstück schon für gut befunden, so war es im Hostel in Kiruna einfach spitze; für die anderen Mahlzeiten nutzten wir die Gemeinschaftsküche oder Mittagessen während der Führungen. Abends konnte dann die Sauna -- ohne Aufpreis -- genutzt werden. In Kiruna hat die Klarheit des Nordens es mir angetan, so dass ich weiter nach Norden und in abgelegene Ecken wollte. Den Plan, um die Ostsee herum zurückzufahren, schob ich auf und schrieb über BeWelcome und Couchsurfing Leute auf einer möglichen nächsten Station an -- in Gegenden, wo man nach langen Busfahrten entlang verwundener Straßen hinkommt. Norwegen also, das Land das "wie die Alpen mit Wasserstand bei 1800 Metern" ist. Zudem habe ich gegen Ende meiner Zeit in Kiruna von einem Studenten nebenbei von einer Inselgruppe namens "Svalbard" erfahren, wo auch einige Leute ein Jahr lang studieren, die nochmal 1000km nördlicher als das Festland liege. Und dass man da nur mit Gewehr den Ort verlassen dürfe weil dort Eisbären frei herumliefen. Das hat mir aber den "Floh ins Ohr" gesetzt und nach und nach, über die Tage, sammelte ich noch weitere Infos, mir wurde klar dass es sich um "Spitzbergen" handelte, und die Lust dorthin zu fahren stieg immer mehr. Schließlich wusste ich bis dahin gar nicht dass man einfach so nach Spitzbergen darf. Nunja, aber zunächst war das schon vorhandene innere "ja!" noch nicht nach aussen gedrungen und ich plante noch, über die Universitätsstädte Tromsø und Alta und dann irgendwie nach Finnland um die Ostsee herum zurückzufahren. Nach der Exkursion gönnte ich mir also noch zwei Tage Pause in Kiruna zum Müßiggang nach dem trotz eigenständigen Freinehmens doch recht straffen Programm und um meine weitere Reise zu organisieren; dabei übernachtete ich bei einem deutschen Studenten der gerade in Kiruna seinen Master macht den ich bei einem Treffen mit lokalen Studenten kennengelernt. Mit Zwischenstopp und Tageswanderung auf der Insel Senja fuhr ich nach Tromsø. Am Deck der Schnellfähre nach Tromsø habe ich die eindruckvollsten Polarlichter gesehen, so dass ich trotz Kälte die ganze Zeit draussen stand: Hie und da grüne Schimmer, Fäden oder Streifen am Himmel, manchmal werden welche Heller. In langsamer Dynamik. Einer der Hellen wird auf einmal in der Dynamik der inneren Struktur immer heftiger und schneller; auch türkise Anteile und fast weiße sind zu sehen. Genau über einem. Schnell tanzende, kräftige Linien. Dazwischen scharfe schwarze linien. Dann, ganz plötzlich, "Stille": Stehender schwacher grüner verfließender Schimmer am Orte wo es eben noch wild und konkret zuging. Ein Ehre einforderndes Schauspiel. Nach ca. einer Stunde schneller Fahrt kam die Stadt ins Sichtfeld, und nach einer weiteren Halben Stunde inklusive Schiff-Schiff-Korrespondenzhalt wurde Tromsø erreicht. Die Stadt ist recht groß und lebendig, gar nicht wie Kiruna, welche im wesentlichen nur von der und für die Mine lebt. Auch ist hier das Klima deutlich milder als im südlicheren aber kontinentaler gelegenen Kiruna. In Tromsø -- eigentlich nur als kurzer Zwischenstopp mit gedacht um weiter nach Osten zu fahren -- kam nach etwas Hadern mit meinen Plänen und wenn ich nun in ein paar Tagen den nicht ganz so teuren Flug nach Spitzbergen nehme, dass ein vorheriger Abstecher nach Nordostnorwegen genauso unmotiviert wäre wie ein Ausharren in Tromsø -- der Entschluss dennoch nach Spitzbergen zu reisen. Ich fand dann eher zufällig auch noch eine Reisevariante die mich (sehr teuer) am Folgetag abfliegen ließ und (dafür preiswerter) auf dem Rückflug gleich bis Oslo brachte, was dadurch einen preislichen Vorteil brachte dass damit ein Teil der Rückfahrt schon mit abgegolten war. Die Email an meinen tromsøer Gastgeber -- einen Physikstudent aus Indien -- zitierend: "OK change of plans: I go to Svalbard tomorrow, just foinished the booking (there were obstacles), so I stay here until tomorrow. Now come to university." So war es also geschehen, festgelegt, ins unbekannte, unwirtliche, nur halb wissend was mich dort erwartet; und auch der restliche Reiseverlauf standen damit im groben fest. Informationen über Spitzbergen hatte ich in den vergangenen wenigen Tagen schon zusammengetragen, Hostel jetzt noch gebucht, über Couchsurfing Leute angeschrieben um mich vor Ort mit jemandem zu treffen, und dann erstmal noch etwas die Zeit in Tromsø genutzt. Ich war ja auf der Reise nicht auf Fliegen eingerichtet, aber hier gab es keine sinnvolle andere Möglichkeit. So musste ich mein Gepäck flugfertig improvisieren -- ich hatte abgebepflichtige Dinge dabei, aber mein Rucksack war zu voll um ihn dem Gepäckhandling zu überlassen -- und fand in einem Recyclingcontainer einen passenden Pappkarton in Handgepäckgröße. Da passten dann auch noch einige frische Nahrungsmittel ein, die ich aus Preisgründen noch auf dem Festland kaufte. Im Flieger -- eine mittelgroße Maschine -- ging es locker und entspannt zu, und man lernte auch schon erste Leute kennen. Einer war Profifotograf, und durfte zum Landeanflug ins Cockpit. Und ich sah das letzte Mal Sonne für die nächsten drei Tage. Tschüss Sonne, hallo Nacht. Nach der Landung in Longyearbyen [⁠ˈlɔŋjiːrbyːən⁠] empfing mich dann wirklich Kälte, zum ersten Mal auf dieser Reise. Es war zwar auch nur knapp unter dem Gefrierpunkt, aber es wehte ein steter eisiger Wind. Es war ca. halb Drei nachmittags, und fast Nacht-dunkel. Nach der Fahrt mit dem lokalen "ÖPNV" (Hotels-Flughafen-Bus) bezog ich mein Zimmer im gemütlichen Hostel in einer ehemaligen Bergarbeiterbaracke am obersten Ende des Ortes. Zeit etwas zu entspannen vor einem ersten Erkunden und wahrnehmen einer im Flugzeug getroffenen Verabredung. Hier war ich nun also, tatsächlich, am (nördlichen) Ende der (für jedermann bis auf Geld ohne weiteres zugänglichen) Welt. Seit dem Spitzbergenvertrag [10] aus dem Jahr 1920 steht das Archipel [11] unter norwegischer Hohheit, gleichzeitig haben Bürger aller unterzeichnenden Staaten das Recht, sich dort aufzuhalten und dort unternehmerisch tätig zu sein. So finden sich heutzutage auf dem Archipel neben dem Hauptort Longyearbyen -- ehemals norwegische Kohlebergbausiedlung, heute auch Zentrum für Tourismus, Forschung (es gibt ein modernes Universitätszentrum [12] dort, an welchem Studenten auch ein Jahresprogramm absolvieren können) und Standort einiger Unternehmer -- noch die russische Bergarbeitersiedlung Баренцбург, das Forschungszentrum Ny-Ålesund sowie kleinere Stationen. Dadurch, dass Steuern auf dem Archipel verbleiben müssen, sind Waren quasi Zollfrei und Steuersätze gering. Andersherum ist, weil fast alles eingeführt werden muss -- der Grundpreis von Waren hoch, insbesondere von Frischwaren. Ein vor ort tätiger Unternehmer mit dem ich mich über Couchsurfing verabredet hatte erzählte mir, dass aufgrund dieser Umstände die Gesamt-Lebenshaltungskosten mit denen von Festland-Norwegen vergleichbar seien. Jedoch gibt es kein Sozialsystem; wer auf der Insel ist muss finanziell selber für sich sorgen können oder die Insel verlassen. Es gibt einen sehr strengen Natur- und Kulturschutz auf der Insel; so dürfen beispielsweise große Teile nur nach Genehmigung betreten werden. Die Tierwelt darf nur in Notfällen gestört werden, die dort lebenden friedlichen Tiere dürfen, wenn sie z.B. auf der Straße herumstehen, nicht verscheucht werden. Auch ich begegnete im Ort einem Spitzbergen-Ren, welches in Ruhe graste und sich von meiner Nähe von vielleicht 2 Metern nicht beeindrucken ließ. Für Menschen gefährlich werden können Eisbären -- auch wenn Menschen normalerweise nicht auf ihrem Speiseplan stehen. Den Ort verlassen darf man aus Sicherheitsgründen daher nur mit entsprechender Abwehrausrüstung: Schreckschusspistole und Gewehr. Jedoch wird man zur Strafe gezogen, wenn man aus leichtsinnigem Handeln es hat soweit kommen lassen dass man am Ende einen Eisbären aus Notwehr erschießen musste. Es geht soweit, dass man einen Eisbären, der die Nahrungsvorräte der Expedition plündert, gewähren lassen muss, wenn man ohne Gefahr für das eigene Leben evakuieren und die Expedition abbrechen kann. Alle Spuren menschlicher Tätigkeit von vor 1946 sind als Denkmal geschützt. Ich habe mich am ersten Nachmittag schon etwas im Ort umgesehen, am zweiten Tag Ort + unmittelbare Umgebung genauer erkundet und in der dunklen Zeit mich ausgiebig im Universitätszentrum umgeschaut und mit Forschern geredet. Am dritten Tage habe ich eine geführte Wanderung auf einen nahen Berg gebucht, und am Abend der Eröffnung eines gerade stattfindenden Kunstfestivals begewohnt. Hier hat sich jetzt auch die Winterausrüstung, die ich mit hatte, gelohnt: Wie auch schon in Kiruna haben meine Merino-Wollsocken mir die Tage gerettet, die auch trotz nasser Füße warm hielten. Ich hatte vor der Fahrt keine guten Winterwanderschuhe gefunden, so dass ich billige warme Schuhe (nur gut zum Rumstehen) und zwei Paar gute Socken kaufte. Am Ende bevorzugte ich dann die einfachen Halbschuhe mit beiden Sockenpaaren vor den warmen billigen Stiefeln. In der Zeit, in der ich dort war -- um den 11.11. herum -- wurde es mittags herum noch dämmrig, aber es blieb "dunkler als hell". Die gefühlt hellste Zeit war von ca. 10:30 bis ca. 13:30, dass es sowas wie Tageslicht gibt war aber schon um 8:30 und bis ca. 15:30 vernehmbar. Aufgrund der Nebensaison war das Hostel vergleichsweise günstig: ca. 30 Euro/ Nacht im Einzelzimmer inkl. gutem Frühstück. Im Hostel hatte sich über einige Monate auch ein Asiate eingemietet, der von hier aus Computerbasierter Erwerbstätigkeit nachging. Irgendwie hatte ich ja gedacht, nach dem vielen Rumfahren und Ortswechsel die Tage zuvor würde ich in den drei Tagen auch etwas Entspannung finden. Aber es war irgendwie zum einen zu interessant, und zum anderen hat mich auch irgendwie die Dunkelheit, oder der kalte Wind, oder beides zusammen angestrengt. Am Mittag des vierten Tages brach ich dann die Rückreise an. Irgendwann während des Fluges bekam dann auch die liebe Sonne wieder zu gesicht -- welche ich dabei richtig wertschätzen lernte. Die drei Tage in Longyearbyen empfand ich als sehr intensiv. Von den Eindrücken her, den Gedanken, den Gesprächen. Vom Empfinden an einem "seltsamen" Ort zu sein. Den Informationen die ich währenddessen aufsammelte. In Oslo gelandet konnte ich dann auch meine Pappkiste wieder entsorgen und aus mehreren ein Gepäckstück machen. Und wie die Umstände es gerade wollten fand die Reise einen schönen Abschluss: Es war an dem Wochenende gerade ein Contact-Improvisation-Workshop in Oslo, und ich würde gerade zum zweiten Abend dort ankommen. Und den anleitenden kannte ich auch schon, von einer seiner Unterrichtereisen ... so nahm ich noch an einem Abend gemeinsamer Bewegung und neugierigen Tanzes teil, eine Unterkunft würde sich vor Ort finden hat man mir gemailt, so dass es ein gemütlicher Reiseabschlussabend wurde. Den nächsten Tag entspannte ich einfach durch langes schlafen und einen kurzen Spaziergang -- an der Stadt hatte ich besonders an dem Tag kein Interesse -- und bestieg am frühen Abend in aller Ruhe die Nachtfähre nach Dänemark von wo aus es am Folgetag per Zug wieder nach Deutschland ging. Und was diese Reise auf jeden Fall mit mir gemacht hat: Ich habe den ganzen Rest des Winters die helle Zeit genossen, sie positiv wahrgenommen, und (zumindest emotional) genutzt, und mich überhaupt nicht darüber geärgert dass es so kurz hell ist nur. Wie schön (-:. Wer Bilder anschauen möchte: Alle von mir angefertigten Bilder der Reise finden sich unter [0]. === Internetverweise. === [0] http://felics.kettenbruch.de/pictures/travel/jDPG_Exkursion_Kiruna_-_Polarlichter_und_arktische_Forschung_-_2015-11-01_05/Reisebericht/album.html [1] http://jdpg.de/ [2] http://dpg-physik.de/ [3] http://felics.kettenbruch.de/pictures/travel/jDPG_Exkursion_Kiruna_-_Polarlichter_und_arktische_Forschung_-_2015-11-01_05/02_Kiruna_und_Umgebung/Praesentationen/jDPG-Exkursion_Kiruna_2015-11_-_Vortrag_Felix_Becker_-_BEXUS_und_DOLS_-_slides.pdf [4] http://rexusbexus.net/ [5] http://de.wikipedia.org/wiki/Kiruna [9] http://irf.se/, http://www.ltu.se/irv?l=en [10] http://de.wikipedia.org/wiki/Spitzbergenvertrag [11] http://de.wikipedia.org/wiki/Spitzbergen_(Inselgruppe) [12] http://www.unis.no/